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DER TOD UND DER MAMBO
von Josef Engels
Fängt man jetzt mit den Leichen an oder lieber doch mit den Pudeln? Also gut: erst mal die Hunde. Neben Pat Appletons Wohnungstür im vierten Stock eines Kreuzberger Altbaus hängt ein Bild von seltener Abscheulichkeit. Es zeigt eine Horde von akkurat frisierten Pudeln. Bei dem Grauen handelt es sich um ein Puzzle, das ein schmerzfreier Mensch zuerst in mühevoller Kleinarbeit zusammengesetzt haben muß, dann auf einen Pappkarton geklebt und schließlich an der Flurwand angebracht hat. »Ist doch gut«, findet Pat Appleton, die das Pudelpuzzle vom Vormieter anstandslos übernommen hat, »so glaubt doch keiner, daß hier ein Popstar wohnt, oder?«
Das mit dem Popstar ist wahrscheinlich mal wieder pure Ironie. Das kann Pat Appleton ohnehin ziemlich gut, Sachen mit ihrer angenehmen Altstimme sagen und singen, die man nicht allzu ernst nehmen sollte. Sie ist dadurch auch international bekannt geworden, als weibliche Hauptstimme des Heidelberger Bossa-Jazz-Soul-Kollektivs De-Phazz. 1999 gelang der Gruppe der Durchbruch in Deutschland und Zentraleuropa mit einem Stück namens »Mambo Craze«, das sich Pat Appleton und der De-Phazz-Gründer Pit Baumgartner gemeinsam ausgedacht hatten. Tatsächlich: ein Mambo. Kühl und mondän und lässig und retro dargeboten. Aber auch irgendwie mit einem schiefen, sarkastischen Grinsen. Das Lied lief hoch und runter in den Clubs, ebenso in den neuen Wirtschaftswunder-Lounges, den Boutiquen und schließlich in der Fernsehwerbung: der heimliche Sommerhit zur Jahrtausendwende »Da verdiene ich heute noch dran«, lächelt Pat Appleton, »irgendeine Tütensuppe gibt’s immer, die den ›Mambo‹ verbrät.«
Ein Popstar redet so eigentlich nicht. Obwohl, objektiv betrachtet, ist Pat Appleton ja einer. Große Fan-Gruppen in Frankreich, Kanada, den baltischen Staaten. In Kiew gab es sogar Bodyguards und abgesperrte Autobahnen beim Konzert. Von der vorletzten CD, »Death by Chocolate«, wurden über 100 000 Einheiten weltweit verkauft. Und auch in Deutschland, wo der Prophet der leicht schrägen Muse oft nichts gilt, wissen die Menschen mit Cabrio, Cocktailbar-Erfahrung, Frauenmagazin-Abo und Tanzmusikgeschmack, was sie an De-Phazz haben: stilvollen Kitsch deluxe für alle Gelegenheiten. In Berlin wurde Pat Appleton dazu auserkoren, als Botschafterin für den Nobel-Club »Goya«, der im Herbst eröffnen soll, ihr Gesicht zu leihen. Es ist seit März sehr groß und sehr oft in der Stadt auf Plakaten zu sehen. Wenn man das alles zusammennimmt, muß man sagen: So ein Pudel-Puzzle ist das Mindeste an Extravaganz, was die De-Phazz-Anhänger ihrer stets gut gelaunten Frontfrau zutrauen dürften.
Denkt man sich jedenfalls, wenn man Platz nimmt auf der gemütlichen roten Sitzgruppe, die sich Pat Appleton und ihr Freund als bislang einzigen Farbtupfer ins saalartige Wohn- und Kochzimmer ihrer neuen Wohnung gestellt haben. Auf dem Couchtisch liegen zwei Leih-DVDs, die schon seit mehreren Tagen überfällig sind. »Die schmeißen uns bestimmt aus der Videothek«, ulkt die Sängerin, die brutto seit drei Jahren in Berlin lebt, netto seit anderthalb, weil sie so viel unterwegs ist. Momentan vor allem wegen ihrer ersten Solo-CD, die sie mit Leuten aus den verschiedensten Winkeln Europas aufnimmt. Eisbrechen nicht nötig, die ist nett, die Pat, offen und extrem uneitel. Führt einen durch die Räume, wo es noch wie Kraut und Rüben aussieht, weil sich die Renovierung schleppend dahinzieht. Brüht Espresso auf und stellt Erdbeerkuchen vom Biobäcker auf den Tisch. Lacht viel, auch über schlechte Journalistenwitze, und erzählt frei von der Leber weg. Davon, daß sie in Aachen auf die Welt kam als Tochter einer Deutschen und eines Architekten aus Liberia. Davon, daß sie mit sechs Jahren ins Heimatland des Vaters übersiedelte, wo sie von den Nonnen in der Missionsschule praktisch täglich mit Bibel-Schlägen auf den Kopf geweckt wurde und nachher froh war, als sie die amerikanische High School besuchen durfte. Auch davon, daß ihr 12. Geburtstag eher doof war, weil just an diesem Tag der liberianische Staatspräsident ermordet wurde und das Militär die Macht übernahm, weshalb ihre Feier aufgrund der allgemeinen Ausgangssperre ins Wasser fiel. Oder von den Leichen, die man öfters sah, hingemetzelt auf den Straßen oder angeschwemmt an den Strand, wo die Mutter eigentlich gerade eine Grill-Party geben wollte, eine von der Sorte, zu der die Perlwein-Musik von De-Phazz bestimmt hervorragend gepaßt hätte. Mama, die Vollblut-Rheinländerin, ließ sich die Stimmung nicht vermiesen und feierte trotzdem, ein paar hundert Meter entfernt von dem Toten. Die Tochter bekam’s mit und verdrängte es auch schnell wieder. Bis sie unlängst im von Liberia weit entfernten Berlin an der Friedrichstraße entlang spazierte. Dort war eine Ausstellung ausplakatiert mit dem berühmten schlimmen Foto von der Tsunami-Katastrophe. »Das alles: dieser wundervolle Strand und diese aufgeblähte Leiche. Das hat mich so an Liberia erinnert«, bekennt Pat Appleton. Und ihr Lachen, das für gewöhnlich leicht derbe, hat plötzlich einen unsicheren Unterton.
Man stellt dann auch so dumme Fragen. Ob sie denn »Hotel Ruanda« gesehen habe, das sei ja echt wie im Film, was sie da teilweise erlebt habe. »Nö«, sagt die Musikerin, »ich hatte kein Bedürfnis, weil ich das alles doch sehr live gesehen habe. Ich brauche das nicht noch einmal im Kino, die Leichen auf den Straßen. Die schauen in Wirklichkeit anders aus.« Ein stärkerer Kontrast zu dem Eskapismus-Swing, den Pat Appleton mit De-Phazz pflegt, läßt sich ehrlich gesagt nicht denken. »Uns wird ja gerne vorgeworfen, daß wir immer ein wenig zu beliebig und unverfänglich klingen, so Tralala-Musik eben«, meint die Sängerin, »ich persönlich finde es aber gar nicht so schlimm, wenn man bei De-Phazz mondän sein Getränk zu sich nimmt und denkt, die Stimme im Hintergrund würde irgend etwas Nettes säuseln.« Weil es genügend Elend in der Welt gibt. Und weil es die Texte und Plattentitel der Gruppe teilweise faustdick zwischen den Zeilen haben.
Nur ein Beispiel: der Erfolgs-Tonträger »Death by Chocolate«. Er verdankt seinen Namen dem zynischsten Nachtisch, den Pat Appleton jemals gegessen hat. In Nairobi war das, in einem Hotel, in das sich die Familie geflüchtet hatte, weil es auf der Straße Unruhen gab, mit gezückten Maschinengewehren, brennenden Autos und derlei mehr. »Wir saßen also im Hotelrestaurant und haben da ein Vier-Gänge-Menü gegessen, während sich die Leute vor der Tür die Köpfe eingeschlagen haben. Und zum Schluß kam der Kellner im Livree an und fragte: Wollen Sie noch ein Dessert? Und dann gab’s natürlich ausgerechnet, ›Death by Chocolate‹, eine heftige Schoko-Torte.« Ob das auch den CD-Hörern schmeckt? Wenn es nach ihrem Vater gegangen wäre, dann wäre Pat Appleton ohnehin nicht in der Musik gelandet. Sondern Präsidentin von Liberia geworden. Vor dem Putsch war ihr Vater immerhin Generaldirektor der Wohnungsbaubehörde der westafrikanischen Republik gewesen. Und ja, als Pat mit 18 zurück nach Deutschland ging, schrieb sie sich in Heidelberg brav für Politikwissenschaften ein. Nebenbei sang sie allerdings in einer Partyband, »alles, von Whitney Houston bis Zarah Leander«, konnte man prima mit Geld verdienen. Überhaupt war das auch immer ihr heimlicher Berufswunsch gewesen, Sängerin werden, seitdem sie mit drei Jahren zum ersten Mal die ZDF-Hitparade gesehen hatte und später Herbert Grönemeyers »Bochum«-Stakkato im liberianischen Kinderzimmer hoffnungslos verfiel. Bei der Vokal-Aushilfsarbeit für die Kinderkassetten, die ein schwedisches Möbelhaus in Heidelberg anfertigen ließ, lernte sie dann den Sampling-Spezialisten und Produzenten Pit Baumgartner kennen. Der Rest ist De-Phazz Geschichte. Und Pat Appleton wurde zu einem internationalen Aushängeschild für die neue deutsche Leichtigkeit. Die will erst gelernt sein. »In Portugal haben sie uns mal zur Seite genommen und uns gesagt, daß wir endlich aufhören sollten, uns dafür zu schämen, daß wir Deutsche seien. Das sei doch gar nicht so schlimm!«
Das Heidelberger Kurpfälzisch schimmert immer noch ein bißchen durch, wenn die Wahlberlinerin solche Sätze spricht. Und so richtig eigentümlich wird es, wenn sie sich vorstellt, was sie als alte Frau mal machen wird. »Ich werde vielleicht sogar doch noch Politikerin, so mit Brille und verknöchertem Gesicht. Ich würde nämlich gerne die Autos, so gut, wie es geht, aus der Stadt verbannen. Gerade denke ich: Man sollte doch wirklich was unternehmen. Alle sitzen rum und meckern und tun nix. Es wäre Zeit für eine Revolution.« Das nackerte Kitsch-Porzellanpüppchen im Rücken der Sängerin schaut erstaunt. Pat Appleton, die ironische Vorsängerin der leidenschaftslosen Generation ’89, würde gerne auf die Barrikaden gehen. Daß das des Pudels Kern sein könnte, hätte man nicht gedacht.
EN
DEATH AND THE MAMBO
by Josef Engels
Does one begin with the corpses or perhaps rather with the poodles? Well then: First the dogs. Next to Pat Appleton’s front door on the fourth floor of a fin de siècle building in Kreuzberg, a picture of rare abomination decorates the wall. It depicts a horde of poodles with carefully coiffed hair. Some tasteless person must have put this horror of a puzzle together in meticulous labor to start with and then glued it onto a piece of cardboard and finally fixed to the wall of the staircase. »It’s good!« finds Pat Appleton, who has taken over the poodle-puzzle from the previous tenant without complaining. »So nobody would suspect a pop star lived here, would they?«
The reference to the pop star is probably once again pure irony. Pat Appleton is pretty good at that, to say and sing things with her pleasant contralto voice, which one should not take too seriously. That has also made her well known internationally, as the female lead singer of the Heidelberg Bossa-Jazz-Soul-Group De-Phazz. During 1999 the group had its break in Germany and central Europe with a song called »Mambo Craze«, which Pat Appleton and the founder of De-Phazz, Pit Baumgartner had thought up between them. Indeed, it is cool, mundane and laid back, and is presented in retro style still somehow also with a sarcastic smirk. The song did well in the clubs, the new lounges of the economic miracle, the boutiques and finally in TV advertising: the covert summer hit for the turn of the millennium. »It still makes me money today.« smiles Pat Appleton, »There is always some company warming up the Mambo for some boil in the bag soup.«
Well a pop star doesn’t actually talk like that. Even if, looked at objectively, Pat Appleton is one. She has big fan groups in France, Canada, Russia and the Baltic countries. In Kiev there were even bodyguards and closed motorways upon arrival. More than 100.000 units were sold worldwide of the last CD called Death by Chocolate. And even in Germany, where prophets of the twisted muse very often are not appreciated, people with ragtops, experienced in cocktail bars, with subscriptions to women’s‚ magazines and a taste for dance music know, what they have with De-Phazz: stylish Kitsch deluxe for all occasions. (…) Taking all this together, one has to say: Such a poodle puzzle is the very least that fans of De-Phazz should not put past their always-cheerful leading lady.
Or so one thinks in any case when sitting down on the comfortable red sofa, which Pat Appleton and her boyfriend have placed as the only item of color in the spacious living room and kitchen of their new apartment. Two rented DVDs lie on the coffee table, overdue to be returned by several days. »They are bound to expel us from the video rental store« mocks the singer, who has been living in Berlin for three years, but physically only one and a half years, because she travels so much. At present predominantly because of her first solo CD, which she is recording with people from the most diverse corners of Europe.
There is no need to break the ice. She is nice, Pat, and extremely unpretentious. She leads me through the rooms, which are still in chaos, because the renovation is progressing at snail’s pace. She brews Espresso and serves strawberry cake from the bio-bakers. She laughs a lot, even in response to bad journalists‚ jokes and talks freely. She talks about the fact that she was born in Aachen as the daughter of a German mother and an architect from Liberia. About the fact that she moved to the home country of her father at the age of six, where she was woken by the nuns in the missionary school practically every day by being hit on her head with a bible. Later she was very happy when she was permitted to attend the American High School. Even about her 12th birthday, which was rather strange, because the Liberian State President was murdered precisely on that day and the Military took over power. As a result her celebration was cancelled as a general curfew was imposed.
Or about the bodies, which one could see quite often, murdered on the streets or drifted onto the beach, where her mother had just planned a barbecue party, one of the sort, which the fizzy music of De-Phazz would certainly have been very suitable for. Mummy, the purebred girl from the Rhine, did not allow this to spoil her mood and celebrated all the same, a few hundred yards from the corpse. The daughter caught on and also repressed it quickly, until she recently strolled along the Friedrichstraße in Berlin, a long way from Liberia. There was a poster regarding an exhibition with the horrific, well-known photograph of the tsunami disaster. »All that: This marvelous beach and that bloated corpse. That did remind me of Liberia.« Pat Appleton admits. And her laughter, normally somewhat earthy, has suddenly acquired an undertone of insecurity.
But one does ask such stupid questions. Whether she had seen the movie »Hotel Rwanda«, which depicts some of what she had experienced first hand. »Nope.« says the singer; »I did not feel the need, as I had seen all of that in reality. I really do not need that again in the cinema, all the corpses in the streets. In reality they look different anyway. A more pronounced contrast to the escapism swing, which Pat Appleton cultivates with De-Phazz, in truth is unthinkable. »People often criticize us that we always sound a little too casual and uncontroversial, that is to say just trivial music.« suggests the singer, »Personally I don’t find that bad, if people mundanely sip their drink to De-Phazz music and think that the voice in the background would purr something nice.« Because there is enough misery in this world, and since the words and record titles of the group have considerable hidden meanings between the lines.
Just to quote an example: the successful recording »Death by Chocolate« derives its name from the most cynical desert, which Pat Appleton has ever eaten. That was in Nairobi, in a hotel into which the family had fled, because there was unrest in the streets, with drawn machine guns, burning cars and other such things. »We sat in the restaurant of the hotel, eating a four-course meal, whilst people outside were killing each other. And at the end the waiter in his livery appeared, asking whether we wished to have a desert. And of all things there was ›Death by Chocolate‹ gateau on the menu.« Do the listeners of the CD also like that? If her father had had his way, Pat Appleton would in any case not have ended up in the field of music. She would more likely have become president of Liberia. Prior to the coup her father had after all been Director General of the housing authority of the West African republic.
And yes, when Pat was 18 years old, she returned to Germany and »good girl that she was« enrolled at the University of Heidelberg for Political Science. At the same time however she sang in a party-band, »Everything from Whitney Houston to Zarah Leander«, one could earn good money with that. And anyhow this had always been her secret dream concerning a profession. To become a singer, ever since she had seen the ZDF hit parade at the age of three and later succumbed completely to Herbert Grönemeyer’s »Bochum« staccato in her own room in Liberia as a child. During the supporting vocal work for children‚s‚ cassettes, which were being produced for a Swedish furniture group, she met the sampling specialist and producer Pit Baumgartner. The rest is De-Phazz history. And Pat Appleton became an international advertisement for the new German easiness. And that takes some learning. In Portugal they took us aside and told us it was about time to stop being embarrassed of being German. It wasn’t all that bad!« The southern western German dialect from Heidelberg is still just noticeable, when the singer from her chosen Berlin home says such things. And it becomes really weird, when she starts imagining what she might do when she is an old lady. »Perhaps I will still become a politician, what with spectacles and a wizened face. Then I would love to ban cars from the city as far as possible. I am just thinking: One really should do something. Everybody sits around, complains and does nothing. It is time for a revolution!« The naked little Kitsch porcelain doll behind the singer looks astonished. Pat Appleton, the ironic forerunner of the passionless generation ’89 would like to mount the barricades. One would never have thought that this could be the gist of the matter.